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Microgreens – klein, aber oho

Wie die Pflänzchen jedes Gericht aufpeppen

Eine Idee, zwei junge Südtiroler und die Liebe für die Landwirtschaft: Ulrich Kager und Patrick Sanin haben sich mit dem Anbau von Bio-Microgreens der ressourcenschonenden und regionalen Lebensmittelproduktion verschrieben. Wir haben die beiden in ihrer Produktionsstätte in St. Pauls besucht und uns von dem bunten Superfood begeistern lassen – eine Reise in die Welt des Geschmacks.

Auf dem Tisch vor mir steht ein Karton mit zarten Pflänzchen: Lange und kurze Stängel, herzförmige und pelzige Blättchen schimmern in allen Grün- und Rottönen. Sie erinnern mich an das, was ich als Kresse gerne auf mein Butterbrot lege. Ulrich Kager erzählt mir, dass in der Südtiroler Gastronomie der Name „Kresse“ für dieses Gewächs in der Tat häufig verwendet wird. Eigentlich heißen die Pflänzchen Microgreens. Es handelt sich um zarte Jungpflanzen verschiedener Gemüse- und Kräutersorten, die bereits wenige Tage nach der Saat geerntet werden. Was in den USA in fast jedem Supermarkt erhältlich ist, ist der Südtiroler Bevölkerung noch kaum ein Begriff. Ein Bekannter hat Ulrich vor etwa drei Jahren von den Microgreens erzählt, woraufhin der 22-jährige Landwirt und Wirtschaftsstudent aus einfachen Lampen aus dem Baumarkt eine eigene Indoor-Anlage zum Anbau des Superfoods gebastelt hat.

Nachhaltig und zukunftsweisend: der Anbau von Microgreens mit dem Vertical-Farming-System.

Von der Idee zum Prototyp

Die ersten Ergebnisse brachte Ulrich zu Herbert Hinter, einem Koch in St. Michael. Herr Hinter war seit Längerem mit Microgreens vertraut und bezog diese damals – wie der Großteil der Südtiroler Gastronomie – aus den Niederlanden. Das Problem: Die niederländischen Pflänzchen werden konventionell angebaut und in reichlich Plastik verpackt bis in die Alpen transportiert. Das geht besser – dachte sich Ulrich. Im NOI Techpark in Bozen lernte er zufällig Patrick Sanin kennen und gründete gemeinsam mit ihm das Unternehmen profarms. Patrick ergänzte als Maschinenbauer perfekt das landwirtschaftliche Wissen von Ulrich. Letzterer unternahm eine Reise nach London und schaute sich beim Unternehmen Growing Underground um. Mitten in der Stadt werden dort Microgreens durch Vertical Farming in stillgelegten U-Bahn-Tunnels angebaut.

Ulrich und Patrick entwickelten einen Prototyp, dem ich nun gegenüberstehe. Verschiedene Pflanzen wuchern auf den Etagen des Regals. „Unser kleiner Schaukasten“, sagt Patrick. „So sehen die Microgreens als ausgewachsene Pflanzen aus.“ Neben dem Prototyp stapeln sich organisch abbaubare Transportboxen aus Karton, in denen das regionale Superfood an die Kunden geliefert wird. Kunststoff schließt zwar die Feuchtigkeit besser ein als Karton, doch profarms hat auch dafür eine Lösung gefunden: Die Microgreens werden in wachsbeschichtete Schalen gegeben.

Hinter dem Kartonstapel stehen ein paar fest verschlossene, blaue Plastikfässer, in denen das Saatgut gelagert wird. „Das Wichtigste für uns – und gleichzeitig die größte Herausforderung – ist eine stetige hohe Qualität“, erzählt Ulrich. Anfangs war das gar nicht so einfach. So mussten die beiden jungen Männer bereits nach wenigen Monaten ihre Produktion kurzzeitig einstellen, weil ihnen kein hochwertiges Saatgut geliefert worden war. Nun beschriften sie jede Tonne mit einer Nummer, die ihnen genau verrät, woher das jeweilige biologisch zertifizierte Saatgut kommt, denn die Anbauweise in ihrer Produktionsstätte in St. Pauls im Überetsch wird genau an die Saaten angepasst.

Im Herzen der Microgreen-Produktion

Patrick führt mich durch einen durchsichtigen Plastikvorhang in den hinteren Teil der Produktionsstätte, die einst eine Tiefgarage war. Er bittet mich, die Schuhe auf einer Matte mit Desinfektionsmittel mehrmals abzustreifen. Hier hinten kann ich die feuchte Luft riechen, fast wie in einem Gewächshaus. Wir gelangen zu einem großen Spülbecken. Eine Mitarbeiterin legt gerade eine Kiste mit Substraten ins Wasser. Diese Einwässerung ist der erste Schritt bei der Produktion der Bio-Microgreens. Auf den nassen Substraten werden anschließend die Samen verteilt. Nach vielem Herumexperimentieren mit verschiedenen Stoffen haben sich Ulrich und Patrick für Hanf- und Schafwollsubstrat entschieden. Die beiden Unterlagen unterscheiden sich durch ihre Wasserhaltbarkeit und die enthaltenen Nährstoffe. Je nach Sorte greifen sie mal zu jenem, mal zum anderen Substrat. Während das Hanf aus Deutschland stammt, ist die Schafwolle ein Abfallprodukt der Südtiroler Almwirtschaft und findet hier bei profarms dank eines gemeinsamen Projektes mit der Universität Bozen ein zweites Leben. Durch die Daten, die die jungen Männer mittlerweile sammeln konnten, wissen sie genau, wie viel Gramm welcher Sorte auf das Substrat gestreut werden müssen.

Anschließend kommen die Substrate in die Keimzelle, einem finsteren und feuchten Raum, in dem durchgehend 18 bis 20 °C herrschen. Hier fühlen sich die Samen wie unter der Erde und bilden innerhalb von drei bis fünf Tagen den ersten Trieb aus.

Als nächstes geht es ab in die Wachstumszelle (auch Growzelle genannt). Sie ist das Herzstück der Produktionsstätte. Ich darf zum ersten Mal live erleben, was Vertical Farming bedeutet. In mehreren Schichten stapeln sich die Beete mit den Substraten auf den Regalen und füllen den gesamten Raum. Nur ein schmaler Korridor führt zwischen die Regale hindurch. Jede Etage ist individuell durch eine selbst entwickelte App steuerbar. Wenige Klicks genügen, um genau jene Bedingungen herzustellen, die die jeweilige Pflanze zum Gedeihen benötigt. Das Licht stammt aus speziellen LED-Lampen, die das Sonnenlicht nachahmen und es sogar optimieren. Bewässert werden die Beete mithilfe des Ebbe- und Flutsystems: Durch eine Pumpe wird der Pflanzenbehälter mit Wasser gefüllt. Je nachdem, in welchem Wachstumsstadium sich die Pflanzen befinden, werden sie mit mehr oder weniger Wasser versorgt. Am Anfang schwimmen die Substrate im Wasser, später hingegen ist der Wasserstand niedriger, sodass nur noch die ausgebildeten Wurzeln ins Wasser hängen. Nach jeder Bewässerung fließt das Wasser in den Tank zurück, wird gefiltert und so für die nächste Verwendung aufbereitet.

Die edle Erbse.

Durch das hocheffiziente System verzeichnet profarms eine Wassereinsparung von 90 % gegenüber der freien Landwirtschaft.

Das Unternehmen nimmt dank der hohen Indoor-Regale keinen wertvollen Boden in Anspruch und wetterunabhängig ist das Ganze zudem. 365 Tage im Jahr wächst hier das Superfood heran. Nach der Bewässerung werden die Pflänzchen mithilfe von Ventilatoren getrocknet, damit es zu keiner Pilzentwicklung kommt, denn bei profarms verzichtet man komplett auf Pflanzenschutzmittel. „Was mich am meisten fasziniert, ist die Kraft, die in einem einzigen Samen steckt. Wie aus etwas so Winzigem ohne Zusatzstoffe ein solch intensives Geschmackserlebnis werden kann“, verrät mir Patrick.

Wenn die Pflanzen ihre optimale Größe erreicht haben, werden sie für ein bis zwei Tage in der Kühlzelle gelagert. Durch die niedrigen Temperaturen werden die Pflanzen in ihrem Wachstum gehemmt. Anschließend geht es direkt zum Kunden oder zum Lebensmittellieferanten.

Auf geschmacksintensivem Erfolgskurs

Ca. 1000 Kartons im Monat liefert profarms mittlerweile aus. Bei den Kunden handelt es sich sowohl um Privatpersonen als auch um Südtiroler Gastronomen. Man kann sich zwischen einem bunten Mix aus verschiedenen Sorten oder für eine spezielle Pflanze entscheiden. 12 verschiedene bietet profarms mittlerweile an, von der „edlen Erbse“, die aufgrund ihrer verspielten Ranken und Blätter besonders beliebt ist, über den „resoluten Rettich“ bis hin zum „feinfühligen Fenchel“. Dank der kurzen Transportwege bleibt der intensive Geschmack erhalten.

Ich zupfe ein Kapuzinerkresseblatt ab. Erst schmecke ich nicht viel, doch je länger ich darauf herumkaue, desto intensiver wird der Geschmack und die Schärfe breitet sich bis in meinen Rachen aus. Nie hätte ich gedacht, dass ein solch zartes Pflänzchen dermaßen würzig sein kann. Patrick erklärt mir, dass Microgreens häufig zum Garnieren von Speisen wie Suppen oder Salaten verwendet werden. Doch sie können noch so viel mehr.

Als wahrer Hingucker präsentieren sich die Micogreens auf dem Teller.

„Der Geschmack der Microgreens ist viel intensiver als jener des reifen Gemüses und sie enthalten bis zu 40 Mal mehr Nährstoffe.“

Ulrich und Patrick haben es sich zur Mission gemacht, diese Erkenntnis zu verbreiten, weshalb sie auch Rezeptideen und -videos mitliefern und auf ihren Social-Media-Kanälen teilen.

Die beiden jungen Männer möchten ihr Sortiment weiter ausbauen und probieren gerade den Anbau von Weizengras aus. Auch ihre Software möchten sie weiterentwickeln. Und dann ist da noch die Idee, Microgreen-Anlagen für Kunden zu bauen, damit diese mit den Rohstoffen von profarms ihre eigenen Pflanzen ernten können. Bei so viel Tatendrang wundert es mich nicht, dass profarms bereits an verschiedenen Wettbewerben erfolgreich teilgenommen hat. So erhielten sie auf der Hotelfachmesse 2021 in Bozen den Sustainability Award und durften beim europaweiten Wettbewerb für Junglandwirte dabei sein.

Ulrich Kager und Patrick Sanin handeln zwar mit jungem Gemüse, doch als junges Gemüse kann man die beiden gewiss nicht bezeichnen. Sie brennen für ihre Ideen und stellen stets höchste Ansprüche an sich selbst, besonders in Hinblick auf Qualität und Nachhaltigkeit. Wenn die Südtiroler Gastronomie von solch tatkräftigen Menschen beliefert wird, blickt sie einer vielversprechenden – und vor allem geschmacksintensiven – Zukunft entgegen.

Die Samen werden auf das nasse Substrat gestreut.