MANAGEMENT

Im Talk mit Touristikern

Nicht nur das Schicksal der Hotelbranche hängt davon ab, welche Zahlen das Tourismusgeschehen schreibt. Viele weitere Berufszweige sind davon betroffen. Dazu zählen auch Reiseveranstalter und Fremdenführer. Wir haben uns umgehört, um herauszufinden, ob auch sie unter den „Nachwehen“ des Lockdowns in Sachen Personalmangel leiden.

Last minute verlangt Flexibilität

Haben wir noch Vertrauen in den Tourismus? Das ist die Frage, die sich tausende Angestellte in diesem Sektor sowie die Reisenden selbst jeden Tag aufs Neue stellen. Die Pandemie hat den Tourismus in die Knie gezwungen; nur schwache Anzeichen einer Erholung zeichnen sich ab, präzise Planungen sind unmöglich. Besonders die Reiseveranstalter und -büros haben markante Rückgänge verzeichnet: Laut den Daten von Assoviaggi Confesercenti, dem italienischen Verband der Reise- und Tourismusagenturen, wurde im Vergleich zum Pre-Covid-Sommer 2019 ein Umsatzeinbruch von 80 % verzeichnet. Dieses Ausmaß könnte zur Folge haben, dass 40 % der Arbeitskräfte dieser Branche – sprich über 37.000 Unternehmer und Angestellte – arbeitslos bleiben.

Die verlängerten Schließungen und der ständige Kurswechsel haben viele Menschen dazu veranlasst, ihre Entscheidungen zu überdenken – auch jene, die ihren Job im Tourismus mit großer Leidenschaft verfolgten. Viele haben sich daraufhin zum Beispiel für einen Job entschieden, der zwar weniger zufriedenstellend ist, dafür aber eine gewisse Einkommenssicherheit bietet; denn am Ende des Monats muss die Rechnung aufgehen, besonders wenn man eine Familie hat.

„Wir bieten unbefristete Arbeitsverträge mit Recht auf Lohnausgleich. Als Familienbetrieb hatten wir den Wunsch, die Zusammenarbeit mit all unseren Mitarbeitern aufrechtzuerhalten. Trotz dieser konstruktiven Bedingungen haben einige Mitarbeiter beschlossen, die Branche zu wechseln. Sie hatten wenig Vertrauen in eine wirkliche Erholung”, verrät Giovanni Cocco, Managing Partner von Falk Tours & Partner, eine Südtiroler Incoming- und Outgoing-Reiseagentur mit vier Firmenstandorten, nämlich Südtirol, Österreich, Deutschland und die Schweiz.

Das hat unvermeidlich dazu geführt, dass das Unternehmen wertvolle Arbeitskräfte mit jahrzehntelanger Erfahrung verloren hat. „Im ersten Moment war es nicht einfach“, erzählt Cocco, „aber wir haben versucht, uns auf die positiven Aspekte der Situation zu konzentrieren, und haben junge, motivierte Leute mit frischen Ideen (die noch erste Arbeitserfahrung sammelten) eingestellt: Genau sie brauchten wir, um uns in dieser heiklen Phase neu zu erfinden. Dadurch, dass wir die neuen Mitarbeiter unterstützt und ihnen ad hoc und von Anfang an eine Ausbildung geboten haben, konnten sie jene Kompetenzen festigen, die für unser Unternehmen von Bedeutung sind. Fertigungen im Bereich des Onlineverkaufs werden immer wichtiger genauso wie die Fähigkeit, auf die modernen Anforderungen – Last-Minute-Reisen, vor allem mit dem Auto und individuell – spontan und effektiv reagieren zu können. In der Vergangenheit wurde Wochen vorher gebucht, jetzt erfolgen die Buchungen ca. 7 – 10 Tage vor dem Urlaub; daher ist vor allem Flexibilität sowie schnelles Handeln für die Erstellung der Pakete erforderlich.“

Schließlich fügt Cocco noch hinzu: „Es stimmt leider, dass wir uns gerade in einer ungewissen Lage befinden, die es uns erlaubt, nur von Monat zu Monat zu planen. Ohne Pandemie wären wir bereits dabei, die Sommersaison 2022 vorzubereiten; tatsächlich müssen wir jetzt aber noch unsere Angebote für Oktober füllen. Die Erholung erfolgt nur langsam; Incoming und Outcoming haben gleichermaßen gelitten.“

Schnell und kurzfristig: Das Buchungsverhalten ändert sich.

Auch Luca Moschini, Verantwortlicher für die Marktentwicklung von Trentino Holidays (Reiseveranstalter des Trentiner Hotelierverbandes), der sich auf das Incoming im Alpenraum spezialisiert hat, betont, wie wichtig es sei, proaktiv zu handeln, um so die Krise in eine Chance umzuwandeln: „Natürlich mussten auch wir unsere Buchungsabteilung in den Lohnausgleich schicken, denn objektiv betrachtet gab es keine Wintersaison 2020/2021 und der entsprechende Umsatz fiel aus. Bei uns gab es jedoch nie einen kompletten Stillstand, nicht mal während des allerersten Lockdowns. Im Gegenteil: Wir haben versucht, uns sowohl bei den Anfragen als auch bei den Angeboten zu verbessern, und unseren Fokus dabei immer mehr auf Erlebnisreisen gelegt (Erlebnisreisen verzeichnen gerade einen enormen Zuwachs, auch wenn die Verkaufszahlen noch nicht an jene der traditionellen Unterkunft herankommen). Außerdem haben wir unsere Beziehungen gefestigt, wobei wir eine größere Flexibilität eingeräumt haben, die in der jetzigen Zeit unverzichtbar ist. Wir haben auch vermehrt an der Planung und Verteilung unseres Produkts gearbeitet. So haben wir uns auf dem Markt neu positioniert und uns Ressourcen geangelt, die vorher anderen Dienstleistern zugeteilt waren. Im Moment wachsen wir und stellen neues Personal ein; bis jetzt war es zum Glück kein Problem, Arbeitskräfte zu finden.“

Auch in einer Branche wie jener der Reiseveranstalter bedeuten eine erzwungene Schließung und Reisebeschränkungen somit nicht, dass jede Arbeit zum Erliegen kommt. Es muss gehandelt und reflektiert werden. Wie können wir uns neu erfinden und unser Angebot neu positionieren? Und vor allem darf der Kontakt zu den Kunden nicht einschlafen. Es ist essentiell, die eigene Zielgruppe auf dem Laufenden zu halten und alles für die Erholung vorzubereiten. Schließlich müssen auch die Arbeitgeber dazu bereit sein, auf die neuen Anforderungen der Angestellten einzugehen, wie flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice.

Stillstand führt zu neuen Möglichkeiten

Wenn man im Sommer durch die Bozner Altstadt oder die Lauben Merans spaziert, sind sie nicht zu übersehen: die Touristen, die sich dicht an dicht aneinanderdrängen und den Erzählungen des Fremdenführers lauschen. Doch seit 2020 ist dieser Anblick seltener geworden.

Die Pandemie und ihre Auswirkungen

Mit Beginn der Covid-19-Krise gingen Absagen über Absagen bei den Südtiroler Fremdenführern und Reiseleitern ein. Fast zwei Jahre lang konnte der Großteil dieser Tätigkeit nicht mehr nachgehen. Langsam läuft das Geschäft wieder an, doch die Herausforderungen sind groß: Gruppenreisen sind stark zurückgegangen, Klientel aus dem außereuropäischen Ausland gibt es kaum noch und Buchungen erfolgen meist sehr kurzfristig.

Doch sich deswegen vom Beruf abzuwenden – daran hat bislang niemand gedacht.

Das liegt vor allem daran, dass für die meisten dieser Beruf ein Nebeneinkommen darstellt. Einige sind bereits in Pension und verfolgen den Job aus Liebe zu ihrem Land, der Kultur und den Menschen, denn das Fremdenführerdasein ist ein Geben und Nehmen. Eine Bereicherung für den Gast und den Guide.

Selbst wenn sich die Touristenführer auf mehrere Einkommensquellen stützen, brachte Covid-19 auch für sie finanzielle Belastungen mit sich. Da ihre Arbeit stark von der Saison abhängt (so ist die Nachfrage im Januar, Februar und November sehr gering), können die Guides kein regelmäßiges Einkommen vorweisen und erhielten daher – im Gegensatz zu ihren Kolleginnen und Kollegen in Österreich – keine finanzielle Hilfe vonseiten des italienischen Staates.

Fremdenführer bringen sowohl Gästen als auch Einheimischen die Kultur des Landes näher.

Zusätzliche Zielgruppe: die Südtiroler Bevölkerung

Um diesem Problem zumindest etwas entgegenzuwirken, hat der Handels- und Dienstleistungsverband (kurz: hds) gemeinsam mit dem Verein der Fremdenführer und Reiseleiter Südtirols im Herbst 2020 an verschiedenen Orten Südtirols Führungen für die Bevölkerung organisiert. Die Kosten übernahm der hds, der den Fremdenführern dadurch nicht nur finanzielle Unterstützung bot, sondern auch die Möglichkeit, ihren Beruf wieder auszuüben. Seit Beginn der Pandemie liegt der Fokus vermehrt darauf, auch den Einheimischen die Schätze der eigenen Heimat aufzuzeigen.

Weiterbildung, Gesprächsrunden und mehr

Der Verein der Fremdenführer und Reiseleiter nutzte außerdem die durch Covid-19 verursachte führungsfreie Zeit, um für seine Mitglieder diverse Exkursionen, Fortbildungen und Vorträge, zum Beispiel zu den Themen Stadtarchäologie und Resilienz, zu organisieren. Zudem wurde mit der Wissenschaftlerin Miriam Weiß von der EURAC Research diskutiert, wie man Führungen in Zukunft nachhaltiger gestalten könne.

Ein weiteres Anliegen des Vereins ist es, junge Menschen für den Job zu gewinnen. Der Beruf des Fremdenführers und Reiseleiters ist durch das Landesgesetz vom 5. Dezember 2012, Nr. 21 geregelt und geschützt. Nur wer erfolgreich eine Befähigungsprüfung absolviert hat, darf Führungen veranstalten. In den letzten Monaten wurde stark an einer Vereinheitlichung der Ausbildung und Professionalisierung gearbeitet.

Krise = Chance

Krise bedeutet somit immer auch Chance. Chance, sich weiterzuentwickeln und sich zu fragen: Wo stehen wir heute und wo wollen wir hin? Gerade die Pandemie hat den Fremdenführern und Reiseleitern Südtirols die notwendige Zeit gegeben, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, damit sie Gäste und Einheimische mit noch mehr Wissen und Freude durch das Land begleiten können.