MANAGEMENT

Keine Angst vor dem Bauchgefühl

Erst wägen, dann wagen, heißt es so schön. Oder besser: zuerst analysieren, dann agieren. So treffen viele Unternehmer ihre Entscheidungen. Sie listen alle Möglichkeiten, Alternativen und Konsequenzen auf, schätzen die Wahrscheinlichkeiten und multiplizieren sie dann mit dem Nutzen. Laut Gerd Gigerenzer, Direktor eremitus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und einer der führenden Köpfe auf dem Gebiet der Entscheidungsforschung, beschreibt diese mathematische Theorie aber nicht die Art, wie die meisten von uns Entscheidungen wirklich treffen. „In einer Welt voller Unsicherheit sind Kalkulationen und Big Data nicht genug“, erklärt er. Um gute Entscheidungen zu treffen, brauche es vielmehr einfache Regeln, die es ermöglichen würden, den Fokus auf das Wesentliche zu lenken, aber vor allem auch unsere Intuition. Laut Gigerenzer eine Ressource, die von Unternehmer und Managern nicht ignoriert werden sollte.

Mehr Mut zum Bauchgefühl

Doch was ist Intuition? Im Grunde ist es nichts anderes als gefühltes Wissen, „ein Produkt vieler Jahre an Erfahrung, lediglich in Teilen unseres Gehirns gespeichert, die uns sprachlich nicht zugänglich sind.“ Laut einer Studie von Gigerenzer werden mehr als die Hälfte aller Entscheidungen im Berufsleben am Ende auf der Grundlage des Bauchgefühls getroffen. Zugeben möchte das wohl keiner. Zu groß ist die Angst vor der eigenen Intuition oder vielmehr vor der Verantwortung, die man mit Bauchentscheidungen trägt. Dazu muss man nämlich stehen. Laut Gigerenzer brauche es mehr Mut dazu. Was auf den ersten Blick als naiv, wenn nicht gefährlich erscheint, eröffnet neue Möglichkeiten. „Unser Bauchgefühl“, so Gigerenzer, „führt oftmals zu deutlich besseren Entscheidungen“. Studien zufolge, sind im Schnitt 50 Prozent aller wichtigen Entscheidungen in großen international führenden Unternehmen am Ende eine Bauchentscheidung. Die Führungskräfte würden das in der Öffentlichkeit niemals zugeben. Sie haben Angst, denn für eine Bauchentscheidung muss man selbst die Verantwortung übernehmen. Und wir leben in einer Zeit, in der immer weniger Führungskräfte noch bereit sind, diese Verantwortung zu übernehmen. Dabei hemmt die Angst vor Bauchentscheidungen und vor der damit einhergehenden Verantwortlichkeit, auch die Innovation eines Betriebs.

Fest steht, keine der beiden Methoden, das intuitive Urteil und das durchdachte Abwägen, ist die richtige. Selbstverständlich hängt es immer von der Situation ab. Pro- und Kontralisten sind gut, wenn die Situation vorhersehbar ist, und auch dort kann es Überraschungen geben. Intuition braucht es aber in Situationen, die nicht vorhersehbar sind und wo man keine Zahlen hat.

Der Unternehmer benötigt nicht optimale, sondern robuste und einfach Entscheidungsstrategien, die gute Chancen haben, in einer unsicheren Zukunft zu treffen

Doch wie funktioniert Intuition? Ein Beispiel aus dem Fußball: Ein hoher Ball kommt und ein erfahrener Spieler weiß sofort, wo er hinzulaufen hat. Wie macht er das? Er weiß, was er tun soll, kann es aber nicht erklären. Der Spieler berechnet keine Flugbahn, sondern verwendet eine einfache Faustregel: Wenn der Ball schon hoch oben ist, fixiert er ihn mit den Augen, beginnt zu laufen und adjustiert die Laufgeschwindigkeit so, dass der Blickwinkel immer konstant bleibt – und dann ist er genau dort, wo der Ball landet. Der Spieler ignoriert die Formel der Flugbahn, spürt zwar den Gegenspieler, konzentriert sich aber nur auf eine einzige wichtige Variable, den Blick auf den Ball. Das bedeutet: Um bei Ungewissheit gute Entscheidungen zu treffen, muss man einen Teil der Informationen ignorieren. Und dies wiederum heißt: Wir brauchen eine positive Fehlerkultur, statt defensive Absicherung.

Die drei großen Irrtümer:
1. Eine Intuition ist immer zweitklassig, bewusstes Abwegen immer besser.
2. Komplexe Probleme brauchen immer komplexe Lösungen.
3. Mehr Informationen, mehr Berechnungen, mehr Zeit ist immer besser.

Ein Unternehmer benötigt nicht optimale, sondern robuste und einfache Entscheidungsstrategien, die gute Chancen haben in einer unsicheren Zukunft zu treffen. Die Ökonomie, große Teile der Psychologie und anderer Wissenschaften fokussieren auf Optimalität. Diese basiert sich immer auf die Vergangenheit, aber die Welt verändert sich bekanntlich tagtäglich. Ein guter Instinkt kann da sehr hilfreich sein.