Dieses Interview wurde am 28.04.2020 geführt.
Die Corona-Krise hat die Reisebranche zum Erliegen gebracht. Oswin Maurer, Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Freien Universität Bozen und Professor für Marketing im Studienlehrgang Tourismus, Sport- und Eventmanagement, wagt Einschätzungen zur Tourismusbranche in Zeiten von Covid-19.
Wie schätzen Sie die derzeitige Lage für den Tourismus ein?
Die Lage ist mehr als kritisch, weltweit wird es zur Insolvenzen vieler Unternehmen kommen, wobei Klein- und Mittelbetriebe überproportional betroffen sein werden. Gemeint sind nicht nur Beherbergungs- und Gastronomiebetriebe, sondern auch Reiseagenturen, Vermittler von Urlaubsdienstleistungen und Transportunternehmen.
Sehen Sie diese Urlaubssaison als komplett verloren an?
Sie findet zurzeit (Interview vom 28.04.2020) nicht statt und wird Großteils auch im laufenden Jahr nicht stattfinden. Sie ist nicht verloren, aber was noch kommen wird, ist kaum prognostizierbar. Österreichische und deutsche Institute haben es dennoch versucht. Ihre Prognosen besagen, dass der Binnentourismus im Zeitraum von Juni bis September 2020 etwa 50 % der Vorjahresumsätze erreichen könnte, der internationale Tourismus etwa 30 %. Dies unter der Voraussetzung, dass es eine Lockerung der Reise- und Aufenthaltsbestimmungen geben wird. Von einer Belebungsphase wird ab Oktober ausgegangen. Dann könnte der Binnentourismus bis Dezember 70 % der gebuchten Umsätze des Vorjahres bringen. Analog dazu wird sich die Belebung der internationalen Buchungsumsätze durch internationale Gäste schwieriger gestalten. Es wird davon ausgegangen, dass diese bis Ende 2021 bei 50 % der im Jahr 2019 generierten Umsätze liegen werden und Ende 2022 bei 75 %, gemessen am Vergleichsjahr 2019. Ich halte diese Prognosen für sehr optimistisch, insbesondere in Bezug auf internationale Gäste. Es handelt sich hierbei um prognostizierte Landesdurchschnittswerte, die je nach Region deutlich darüber bzw. darunter liegen werden. Auch muss die jeweilige Fähigkeit der einzelnen Unternehmen, Krisensituationen zu verkraften, miteinbezogen werden. Diese ist je nach Betrieb und Region sehr unterschiedlich ausgeprägt.

Fernreisen sind abhängig von den Grenzöffnungen der jeweiligen Länder
Welche Maßnahmen zur Unterstützung des Tourismus sind notwendig?
Maßnahmen müssen unbürokratisch gesetzt werden, dort wo es geht und so viele wie möglich. Dazu steht ein breites Spektrum an privatwirtschaftlichen, staatlichen und europäischen Maßnahmen zur Verfügung. Denkbar sind Liquiditätsgarantien, Fristverlängerungen, Steuerstundungen, Hilfsfonds, Überbrückungskredite, Steuererleichterungen, Fixkosten- und Zinszuschüsse, etc. Das Zauberwort ist aber „Corona-Bonds“. Diese wären sehr sinnvoll zur Stützung des Tourismussektors.
Was können Tourismustreibende konkret tun, um aus der Schockstarre zu kommen?
Kalkulieren und noch einmal kalkulieren, was sich ab wann und wie lohnen könnte. Zu berücksichtigen ist, dass in der Hochsaison bei einer 40-prozentigen Auslastung aufgrund der Distanzregelungen für viele das Aufsperren des Betriebes keine Option ist, da es sich schlicht nicht rechnen kann. Auch Betreiber von Luxushotels in Österreich überlegen, ob sie nach der Lockerung der Restriktionen überhaupt aufsperren sollen, da sich in diesem Segment laut Auskunft von Hoteliers Auslastungen unter 70 % nicht rechnen und eine solche ist in diesem Sommer bzw. Herbst sicher nicht erreichbar.

Strandliegen eng aneinandergereiht: Ein Bild, das es so wohl kaum mehr geben wird
Was werden die größten Herausforderungen beim Wiederaufbau des Tourismus sein?
Zu entscheiden, welche Betriebe eine Zukunft haben, sowohl strukturell als auch finanziell. Das ausschlaggebende Kriterium wird dabei die Kapitalstruktur sein, somit insbesondere der Verschuldungsgrad der Unternehmen. Ein zweites Kriterium wird die Kostenstruktur sein, also das Verhältnis von Fixkosten zu variablen Kosten. Hohe Fixkosten, insbesondere wenn sie durch sehr spezifische Investitionen verursacht sind, verringern die Flexibilität der Unternehmen, vor allem in Zeiten externer Schocks. Drittens wir die Verfügbarkeit von kompetenten Mitarbeitern, so wie schon vor Corona, ein weiteres wichtiges Kriterium sein.
Werden die Menschen nach der Corona-Krise besonders reisehungrig sein?
Ja, sie werden versuchen, ihre Freiheiten wieder zu leben. Der „Reisehunger“ lässt sich jedoch auf verschiedene Arten stillen. Inlandsreisen werden sicher an Attraktivität gewinnen, unterstützt durch Beschlüsse von Regierungen. Die Menschen werden Möglichkeiten wahrnehmen und es ist davon auszugehen, dass sie zumindest teilweise im Inland urlauben werden. Auslandsreisen sind wesentlich schwieriger abzuschätzen, da diese von nationalen Gesundheits- und Reisebestimmungen, der Verfügbarkeit von Flügen und dem goodwill der Tourismusregionen abhängig sind. So sagen im Moment einige Regionen in Italien sehr klar, dass sie keine Touristen aus bestimmten anderen italienischen Regionen wollen. Sicher ist: Menschen werden wieder reisen, aber international in wesentlich geringerer Anzahl als im Vorjahr.