Ein Gespräch mit Michil Costa vom Hotel La Perla in Corvara, der seinen Betrieb im Sinne der Gemeinwohl-Ökonomie führt.
Herr Costa, auf der Website Ihres Hotels liest man: „Die Faszination unseres Hauses liegt weniger in dem was es bietet, sondern in dem, worauf es verzichtet.“ Was steckt hinter dieser Aussage?
Ich bin der Meinung, dass man als Gastwirt ehrlich sein muss. Immerhin haben wir nicht mit herkömmlichen Kunden, sondern mit Gästen zu tun. Wir können nicht damit werben, dass sie Urlaub in einer „unberührten“ Natur erleben werden. Das ist eine klare Lüge. Es gibt keine unberührte Natur, genauso wie es keinen authentischen Tourismus gibt. Im Tourismus ist alles ein Fake! Zum Teil wird das vom Gast akzeptiert, was er aber nicht billigt sind Lügen. Zudem bin ich überzeugt, dass wir einen Mehrwert schaffen, wenn wir konkret auf einiges verzichten.
Zum Beispiel?
Getreu dem Motto „Weniger ist mehr“ gibt es bei uns in den Zimmern gewollt keine Mini-Bar. Trotzdem zahlen Gäste wirklich viel Geld. Im Moment kostet ein Zimmer 680 Euro. Das ist nicht wenig, doch im Grunde geht es um mehr Verantwortung. Natürlich dürfen wir uns nicht als Lehrer aufspielen, immerhin ist der Gast da, um die wahrscheinlich schönste Zeit des Jahres zu verbringen. Trotzdem ist es wichtig, dass wir auch im Urlaub Bewusstsein schaffen. Gastwirt sein ist für mich fast schon eine Mission. Freitags gibt es im Restaurant z.B. kein Fleisch. Wir erklären den Gästen, dass die Produktion von einem Kilo Fleisch 15.000 Liter Wasser bedeutet. Im Sommer bieten wir keinen Apfelstrudel, solange es keine Äpfel gibt. Wir servieren auch keinen Hummer oder Überseefisch. Schließ- lich geht es um Ressourcen…

Michil Costa
Wie reagieren die Gäste darauf?
Immerhin gehört das La Perla zu den Leading Hotels of the World… Jeder hat den Gast, den er sich verdient. Natürlich gibt es auch Menschen, die nicht mit unserer Philosophie einverstanden sind. Dann sind es aber keine Gäste, sondern nur Kunden, die sich gerne ein anderes 4- oder 5-Sterne-Hotel in den Dolomiten aussuchen dürfen. Wunderschöne Häuser gibt es ja zur Genüge.
Ein sehr geradliniger, aber sicher nicht einfacher Weg. Gibt es manchmal interne Diskussionen oder gar Selbstzweifel?
Klar, ich habe ständig Selbstzweifel. Dazu muss man aber sagen, dass die Entscheidungen nicht ich treffe, sondern die Familie und die Direktionsgruppe. Wir treffen uns jeden Freitag um 11 Uhr und diskutieren gemeinsam über alles – ganz im Sinne der Transparenz, der innerbetrieblichen Demokratie und der Gemeinwohlökonomie. Unser Betrieb ist auch deshalb so bekannt geworden, weil wir viele gute Mitarbeiter haben. Ich bin der Meinung, dass Familie und Betrieb getrennt gehören. Die Familie muss sich natürlich lieben und verstehen, aber sie entscheidet nicht alleine. Es bestimmen diejenigen, die ihr Leben für den Betrieb geben, und zwar die verantwortlichen Mitarbeiter. Wobei: Auch die Familie ist im Entscheidungsgremium vertreten. Fest steht: Dieser Führungsstil ist geglückt.
Transparenz und Kommunikation scheinen ein großes Thema zu sein…
Absolut. Die Mitarbeiter kennen auch unseren Umsatz. Es werden keine Dividenden an die Familie ausgeschüttet. Jeder von uns hat einen guten Monatslohn. Die Gewinnausschüttung geht zurück in den Betrieb. Wir haben auch festgelegt, dass der Bestverdiener im Betrieb nicht mehr als das 5,7-fache von dem verdienen darf, was ein Praktikant bekommt.
Welche Rolle spielt also der finanzielle Aspekt, sprich der Gewinn?
Profit ist natürlich wichtig, immerhin müssen unsere 160 Mitarbeiter auch ein Gehalt bekommen, trotzdem ist es nicht ein Hauptaugenmerk.
Sie können auf zahlreiche hochkompetente Mitarbeiter zählen. Was tun Sie, um diese langfristig an Ihr Unternehmen zu binden?
Wir versuchen das Umfeld so zu gestalten, dass sie glücklich sind. Hierfür bemühen wir uns, die Stunden zu limitieren. Unsere Mitarbeiter dürfen im Schwimmbad schwimmen, mit unserem Bergführer und den Hausgästen wandern und sich für einen gerechten Preis massieren lassen. Der Erlös fließt in unsere Stiftung, die sich für den Schutz und die Förderung der Rechte von Kindern in der ganzen Welt einsetzt. Zudem stellen wir unseren Mitarbeitern gute Appartements zur Verfügung. All dies trägt dazu bei, dass sie sich bei uns wohl fühlen. Talentierte und motivierte Mitarbeiter müssen bei ihrer Arbeit glücklich sein und die Möglichkeit haben, im Betrieb zu wachsen und sich selbst zu verwirklichen.
Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Das geht nur mit Schulungen, die aber nicht immer mit Arbeit zu tun haben, z.B. geht es um humanistische Fächer wie Psychologie und Gemeinschaftskunde, die in einer Hotelfachschule nicht gelehrt werden. Wir bieten auch Musikkurse an. Ich selbst halte einen zur Entstehung der Rockmusik in den Siebzigerjahren. Ein Mitarbeiter hat durchaus das Recht zu hinterfragen, ob er den richtigen Beruf gewählt hat. Wie ich zum Beispiel: Vielleicht wäre ich besser Musiker geworden (lacht)…
Was, wenn ein Mitarbeiter den Wunsch hat, den Betrieb zu verlassen?

Die Außenfassade des Hotel La Perla, erbaut im Jahre 1956
Da wir ein Leading Hotel of the World sind, können wir unseren Mitarbeitern auch andere Arbeitsplätze anbieten. Seit zwei Jahren ist eine interessante Zusammenarbeit mit dem Hotel Pellicano in Porto Ercole und dem La Posta Vecchia Hotel in Ladispoli entstanden, die es uns ermöglicht, Mitarbeiter auszutauschen. Sie müssen nicht bei uns bleiben, sie dürfen ruhig die Welt sehen… Darüber hinaus bieten wir die Möglichkeit, einen Jahresvertrag abzuschließen. Es ist wichtig, dass unsere Mitarbeiter eine gewisse Sicherheit haben, um ihr Leben zu gestalten, eine Familie aufzubauen oder ein Darlehen für ein Haus aufzunehmen.
Vor kurzem haben Sie ein Hotel in der Toskana eröffnet. Was waren die Beweggründe?
Ich habe gezielt ein Hotel in Italien gesucht, weil ich das Land so sehr liebe. Ich würde niemals in ein Hotel in Österreich oder Deutschland investieren. Ich mag einfach die Italiener und ihre Kultur. Gekauft haben wir es letztendlich, weil uns der Platz so fasziniert hat. Immerhin befindet sich das Hotel Posta Marcucci im Orcia Tal, das zum UNESCO Weltkulturerbe gehört. Das Haus wurde 1956 erbaut, genau wie das La Perla, und hat sehr viel Charme. Es ist kein superluxuriöses Hotel, sondern ein normales, familiäres 3-Sterne-Haus in einer wundervollen, sehr ruhigen Lage.
Was sind die Stärken des Hotel La Perla?
Wir schaffen bewusst Wohlbefinden, indem wir den Menschen wertschätzen, weil es Freude bereitet, uns um andere zu kümmern. Das ist unsere Mission. Hinzu kommen die Liebe zum Detail und mein radikales Denken, auch wenn das mit Sicherheit polarisiert. Geliebt werde ich dafür bestimmt nicht…
Wo sehen Sie den Wintertourismus in zwanzig Jahren?
Ein Drittel der existierenden Skiresorts in den Alpen wird es nicht mehr geben. Unter 1.500 Meter wird der Skitourismus scheitern. Ein Drittel der Tourismusgebiete wird sehr stark von der geopolitischen Situation abhängig sein und ein weiteres Drittel wird wirtschaftlich sehr gut klar kommen. So auch das Dolomitengebiet, weil der Zusammenschluss der Pisten da und die künstliche Beschneiung möglich ist. Das kann einem gefallen oder auch nicht.
Stichwort Mobilität: Wie soll ein Gast in zwanzig Jahren ins Hotel La Perla kommen?
Wenn wir in absehbarer Zeit nicht ein sinnvolles Mobilitätskonzept umsetzen, werden wir in Zukunft keinen Erfolg haben. Der Gast muss sich bewegen können, aber mit Einschränkungen und Regeln. Die Pässe müssen geschlossen werden. Das ist nicht utopisch, wenn man über eine Zugverbindung Corvara-Bruneck reden würde. Technisch ist alles möglich, es geht nur um Zeit und Geld. Plus: Zu viel Tourismus schadet. Wir müssen darauf achten, dass unsere Destinationen nicht zu Tourismusdörfer werden.
De facto leben Sie aber in einem der übernachtungsstärksten Dörfer im Alpenraum…
Ich bin auch nicht glücklich, wie es derzeit um Corvara steht. Es sind einfach zu viele Gäste da. Das regenerative Zusammenspiel zwischen den Einheimischen und den Touristen muss gegeben sein. Ich selbst gehe als Ausgleich jeden Tag spazieren. Montags habe ich Ruhetag. Einmal wurde ich angerufen, weil George Clooney zu Gast war. Ich habe gesagt: Nichts zu machen, heute ist mein freier Tag. Man muss sich eben treu sein.
In welche Richtung haben sich die Ansprüche der Gäste geändert?
In den Siebzigerjahren war Urlaub ein Inbegriff für „sich gehen lassen“ und an nichts denken. Später wurde der Urlaub zum sog. „riempimento“. Japaner z.B. kommen drei Tage lang und besuchen in dieser kurzen Zeit die Dolomiten und vier italienische Städte gleich dazu. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass es etwas ruhiger zugeht. Der Gast ist kulturinteressiert, architekturaffin, will bewusst ruhen und die Berge entdecken. Stammgäste muss man gelegentlich neu „erziehen“. Der Gast ist nicht König, manchmal hat er aber Recht. Nicht alles muss so sein, wie wir es uns vorstellen. Wenn ein Gast aber meint, mit dem Auto oder dem Motorrad auf das Sellajoch zu fahren, dann erkläre ich ihm: Sie sind nicht der richtige Gast für uns, tut mir leid. Neue Gäste sind tendenziell sensibler und Veränderungen offen gegenüber.
Wie sieht Ihre Zukunftsvision für das La Perla aus?
Mein Wunsch wäre, dass jeder Gast, der dieses Haus betritt, mit offenen Armen empfangen wird, dass er ein Lächeln auf dem Gesicht hat und sagen kann: Hier fühle ich mich wohl, hier möchte ich mein Leben verbringen. Ich stelle mir eine Art reelles und natürliches Lebenstheater vor.
Wenn Sie einem anderen Gastwirt einen Tipp geben könnten, wie würde er lauten?
Mein Ratschlag wäre, ohne wirtschaftlichem Hintergedanke das zu tun, was Freude macht. Man sollte sich nicht in finanzielle Engpässe hineindrücken lassen, sondern überlegen, ob eine Investition zu Freude oder Sorge führt. Zudem sollten wir Gastwirte darüber nachdenken, empathischer zu sein.